“DO IT YOURSELF” (Nummer143, 3/2016)
Ateliergespräch nit tomKarrer
Der Videokünstler tomKarrer ist sein eigenes Arbeitsmaterial. Er vervielfältigt sich ins bewegte Bild und thematisiert so die Echtheit der Wirklichkeit. Mal ist er sich fremd, mal begegnet er sich in intimer Nähe. Mit einer gesunden Portion Selbstironie bohrt er nach dem Rätsel der menschlichen Identität und bringt seine visuellen Errungenschaften leicht und frisch aufs Tapet. Werkspuren hat sich mit dem Aarauer Künstler unterhalten.
Du bist in deinen Filmen als Person immer präsent. Mit welcher Absicht bringst du dich als Figur in deine künstlerische Arbeit ein?
Ich versuche mich als Person zurückzunehmen. Klar gehe ich immer von meiner Erfahrung und meinem Erlebten aus – das prägt meine Wahrnehmung. Es geht aber nicht um meine persönliche Geschichte oder ein Einzelschicksal. Ich versuche mich als eine Art Prototyp zu positionieren. Die Identität ganz grundsätzlich ist eines meiner Hauptthemen. Selbstwahrnehmung, Selbsthass, Selbstliebe. Was macht eine Person aus? Wie positioniert man sich in einer Situation? Das versuche ich mit einfachen Anordnungen zu thematisieren.
Wie kamst du zu diesem Fokus?
Dies begann in der Kunsthochschule. Ich hatte plötzlich 7 Tage die Woche Zeit und musste mir überlegen, was ich damit machen möchte. Ich hatte einen inneren Kampf und da kam die Thematik vom Dualismus auf. Es gab einen Zweikampf zwischen Ton und Bild. Ich klopfte auf den Tisch, nahm auf und begann Bild und Ton zu verschieben, um herauszufinden, welcher Spur man mehr vertraut. Dann fing ich an mich zu verdoppeln und mit mir selbst im Bild um Aufmerksamkeit zu kämpfen. Über dieses Duell kam ich zum Thema des Vervielfältigens.
Dass ich mit mir arbeite hat aber vor allem auch pragmatische Gründe: weil ich mich selbst immer zur Verfügung habe und niemandem erklären muss, was ich gerne hätte. Ich lasse sehr gern beim Machen Sachen entstehen und weiss nicht immer schon im Voraus genau, was ich machen möchte. Bei Videos mit immer anderen Protagonisten kommt schnell die Frage: warum genau diese Person? Warum ist es hier eine Frau und dort ein Mann? Wenn immer ich es bin, wird es stärker auf einen Prototyp abstrahiert. Ich trage auch immer öfters ein kariertes Hemd, so ist die Erscheinung immer ähnlicher.
Arbeitest du auch in technischen Belangen alleine? Beim teuersten Film aller Zeiten kann der Betrachter durch den Einwurf einer Münze den Film in Bewegung setzen. Hast du das technische System dahinter selbst programmiert?
Ja, aber ich habe es nicht programmiert, sondern mechanisch gelöst. Es ist mir wichtig, unabhängig zu sein. Darum wähle ich immer nur die Mittel, die mir selbst zur Verfügung stehen. Es ist einerseits eine Geldfrage und anderseits arbeite ich gerne skizzenhaft und schnell. Ich finde es schön, wenn die Arbeit lebendig ist. Wenn ich es selber mache bekommt es nicht diese Perfektion, wie wenn ich einen Profi dafür beauftragen würde. Diese Einfachheit und das Unperfekte interessiert mich viel mehr.
In deinen Arbeiten gibt es Schnittstellen: zwischen Betrachter und Werk, und auch zwischen Mensch und Maschine.
Die Schnittstelle Mensch-Maschine interessiert mich weniger. In meinen Installationen versuche ich aber den Betrachter mit einzubeziehen. Nicht dass er gestaltend Einfluss auf die Arbeit nehmen könnte, sondern dass er als Anwesender etwas auslösen kann. Ich machte gerade eine Arbeit mit einem Lichtschalter und Clowns in einem Video. Wenn der Lichtschalter betätigt wurde konnten die Clowns im Raum zum Verschwinden gebracht werden.
Ich möchte dir noch einige Stichworte nennen. Was haben sie mit deiner Arbeit zu tun?
Weile
Mir kommt als erstes die Langeweile in den Sinn. Das Warten ist ein Aspekt in meiner Arbeit. Es gibt einige Arbeiten von mir, wo ich sitzend oder stehend auf etwas warte. Ich warte nicht gern. Man kann nichts machen, nur warten und schauen und wahrnehmen. Bis die Zeit rum ist. Das wäre dann Verweilen in einem eher schlechten Sinn, ein Unbehagen.
Wirklichkeit
Damit setze ich mich gern auseinander. Ich finde es spannend, dass es verschiedene Wirklichkeiten geben kann. Es ist immer eine Frage des Standpunkts oder Wissensstands und worauf man fixiert ist. So verändert sich die Wirklichkeit extrem. Ich suche in meinen Arbeiten oft verschiedene Wirklichkeiten und mache Varianten. Es geht oft auch um Wahrnehmung. Wirklichkeit entsteht immer durch Wahrnehmung. Die wird ja in unserem Hirn konstruiert, über die Sinne. Dem Sehen, dem Hauptsinn, vertrauen wir am meisten.
Identität
Das ist ein grosser Begriff. Einerseits interessiert mich die Selbstwahrnehmung. Was versteht man unter Identität. Wer ist man? Identifiziert man sich über die Welt, die rundum ist oder mehr über die inneren Werte? Die Identität ist auch immer in einem Wandel, je nach Lebenssituation und Alter. Das ist nichts Fixes und je nach Situation, Gegenüber und Zeit anders. Man hätte ja gern, dass die Identität ein wenig fixer und greifbarer wäre, aber eigentlich ist sie das gar nicht.
Hast du künstlerische Vorbilder?
Weniger aus der Kunst, meine Inspirationen sind eher filmischer Natur. Adaptation ist einer meiner Lieblingsfilme. Es geht um einen Drehbuchautor, der ein Drehbuch über sich selbst und den Film schreibt, den du als Betrachter gerade am schauen bist. Es werden fiktive und reelle Wirklichkeitsebenen gemischt. Im Laufe der Geschichte wird der Film jedoch immer wie fiktiver. Der Film reflektiert über sich, seine Identität und Strukturen, wie ein Film entsteht, welchen Konventionen er unterliegt und wie man damit umgehen kann.
Mit welcher Arbeit beschäftigst du dich im Moment?
Ich hatte gerade im Kunstraum Aarau eine Einzelausstellung. Da hatte ich das Thema des Kopierens. Ich machte das auf verschiedenen Ebenen. Ich kopierte Arbeiten von anderen Künstlern, beispielsweise von Bruce Nauman, „Art Make Up“, wo er sich mit weisser Farbe schminkt. Ich habe versucht eine exakte Kopie zu machen und habe dann sein Bild und meines überlagert. Das ergab leichte Verschiebungen und Überlagerungen unser beider Welten.
Ein anderer Zugang zum Thema war, dass ich befreundete Künstler gebeten habe, Werke von mir zu kopieren um diese dann als meine eigenen Arbeiten auszugeben. Und zum dritten habe ich Varianten von älteren Werken von mir gemacht, beispielsweise die Arbeit mit den Mücken und zwei Glühbirnen. Da fliegen in der Kopie nun kleine Menschenmücken um das Licht herum, wie unter Zwang. Das eine Licht löscht aus. Sie wechseln zur andern Lampe und sind damit fremdgesteuert, dressiert oder manipuliert. Das Thema kopieren wird mich auch weiterhin nicht loslassen. Und die Frage nach der Identität sowieso nicht.
tomKarrer lebt und arbeitet in Aarau. www.tomkarrer.ch